Es war im vergangenen Herbst, als das Bundeskanzleramt verlauten liess, dass die deutschen Atomkraftwerke doch länger am Netz hängen werden als ursprünglich genehmigt. Tiefes Durchatmen bei der Atomlobby - wütende Proteste bei den Atomkraft-Gegnern waren die Folge. Bei der darauffolgenden Abstimmung im Bundestag am 28. Oktober 2010 wurde die Änderung des Atomgesetzes (Gesetzesvorlagen 17/3051, 17/3052) mit den Stimmen der Koalitionsparteien beschlossen. Damit sollten die AKWs um durchschnittlich 12 Jahre länger in Betrieb bleiben. Umweltexperten bezeichneten dies als einen Schlag gegen die erneuerbaren Energien! Angesichts der Katastrophe in Japan hat sich Kanzlerin Angela Merkel nun doch dafür entschieden, diesen Beschluss des Hohen Hauses für vorerst drei Monate auszusetzen. Die Atommeiler sollen auf ihre Sicherheit hin überprüft werden. Betroffen davon sind: Biblis A und Biblis B, Brunsbüttel, Isar I, Neckarwestheim, Philippsburg und Unterweser. Es sind dies die ältesten Reaktoren und damit auch die umstrittensten. So ist beispielsweise Isar I nicht ausreichend gegen einen etwaigen Flugzeugabsturz abgesichert! Nachrüstungen kommen hierbei ebenfalls wie bei Neckarwestheim zu teuer - beide AKWs sollen stillgelegt werden. Diese Entscheidung Merkels jedoch hat für einiges Rumoren in den politischen Reihen gesorgt und zu einer heftigen Debatte im Deutschen Bundestag geführt. Die Bundestagsverwaltung hat auf Anordnung des Präsidenten Norbert Lammert überprüft, ob denn die Kanzlerin überhaupt befugt ist, ein durch den Bundestag beschlossenes Gesetz auszusetzen oder ob es dazu "weiterer korrigierender gesetzlicher Regelungen bedarf!" - so der Bundestagspräsident gegenüber der Berliner Zeitung. Lammert (CDU) und auch der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Siegfried Kauder (ebenfalls CDU) hatten zuvor während der Sitzung der CDU-Bundestagsfraktion rechtliche Bedenken bekundet. Geprüft wurde, ob hierfür nicht etwa ein Parlamentsbeschluss benötigt werde. Eine schallende Ohrfeige gab es denn auch flugs von der Opposition. So fühlt sich die SPD übergangen - eine durch die Regierung durchgedrückte Laufzeitverlängerung muss wieder per Gesetz abgeschafft bzw. rückgängig gemacht werden, so der sozialdemokratische Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann, der in dieser Aussage durch den Rechtsexperten der Grünen, Jerzy Montag unterstützt wird. Es gehe hier um das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit im Grundgesetz. Auch wenn insofern Eile geboten sei, so müsse ein Kurswechsel in der deutschen Atompolitik doch sauber über die Runden gehen. Der Fraktionschef der SPD, Frank-Walter Steinmeier sieht in Merkels Massnahme sogar eine Verzögerungstaktik. Sie wolle nur über die anstehenden Landtagswahlen kommen - es existieren bislang keine klaren Vorgaben oder Entscheidungen. Vonseiten des Umweltministeriums gibt die dortige Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser grünes Licht. Das Atomgesetz sehe im Paragraphen 19 vor, dass die Behörden eingreifen können, sobald neue Erkenntnisse in der Sicherheits- und Gefahrenlage aufgekommen sind - sprich eine Notsituation eingetreten ist. Der gleichen Meinung zeigt sich auch die Fraktionsvorsitzende der FDP, Birgit Homburger. Es sei Eile geboten - man dürfe jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen. Die Entscheidung zur Aussetzung des Gesetzes beinhaltet durchaus auch eine gehörige Prise an Brisanz. So könnten die Kraftwerksbetreiber Schadensersatz für ihre Einnahmeausfälle beim Bund verlangen. Experten sprechen dabei von Einbussen in der Höhe von nicht weniger als einer halben Milliarde Euro (Wolfgang Pfaffenberger, Wirtschaftsprofessor aus Bremen gegenüber des Spiegels). Ausserdem muss der plötzlich nicht mehr vorhandene Strom kompensiert werden. Dazu werden kalorische Kraftwerke hinaufgefahren und teurer Spitzenstrom aus dem Ausland dazugekauft - zumeist ist auch dieser aus Atommeilern! Die Grünen plädieren für einen möglichst raschen Ausstieg aus der Atomkraft-Nutzung, wobei aber Vize-Fraktionschefin Bärbel Höhn sogar ausdrücklich darauf hinweist, dass eine sofortige Abschaltung aller 17 deutscher AKWs nicht möglich ist. Auch Wirtschaftspolitiker befürchten mit dem "Nein" zum Atomstrom eine Strompreissteigerung um bis zu 3 Cent pro Kilowattstunde. Der Bundesverband Erneuerbare Energien äussert keinerlei Bedenken bei einem Kernkraft-Ausstieg. Innerhalb der kommenden zehn Jahre könne dies durchaus abgefangen werden. In Nordfriesland etwa müssen Windräder zeitweise abgeschaltet werden, da der Ökostrom nicht im vollen Umfang in das Netz abgegeben werden kann, während im nächsten AKW noch Atomstrom produziert wird. Merkel selbst weist alle Vorwürfe zurück - es habe sich in Japan gezeigt, dass die Reaktoren nicht ausreichend für gewaltige Naturkatastrophen gerüstet sind. Die Sicherheit habe in allen Betrachtungen Vorrang. Sie kündigte einen "Ausstieg mit Augenmaß" sowie eine gemeinsame Initiative mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy beim nächsten G20-Gipfel an. Ulrich Stock
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TAM-Wochenblatt Ausgabe 10 KW 12 | 23.03.2011 |
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